Vereint kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen – gegen Spaltung und Hetze


Einleitung

Seit dem 07. Oktober 2023 wird der Antisemitismus-Vorwurf verstärkt genutzt, um pauschal von der herrschenden Staatslinie abweichende, damit auch linke Meinungen zu dem sogenannten Nahostkonflikt, als „antisemitisch“ zu brandmarken und schließlich mundtot zu machen. Diese aufgehetzte Stimmung betrifft uns Kolleg*innen der Sozialen Arbeit wie auch unsere Einrichtungen und Projekte. So wird ein langjähriges Berliner Kulturzentrum dichtgemacht, weil es einer jüdischen, palästina-solidarischen Gruppe einen Raum gegeben hat. Kulturförderung soll es in Berlin nur noch geben, wenn die Künstler*innen sich zu einer bestimmten, hochproblematischen Antisemitismus-Definition bekennen. [1] Wer öffentliche Gelder bezieht, soll sich der Staatsräson beugen, sonst droht der (finanzielle) Ruin.

„Antisemitisch“ ist dabei angeblich jede Kritik am Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen und jede Kritik an der israelischen Regierung. Eine solche  Antisemitismusdefinition torpediert die Möglichkeiten für eine gerechte Lösung in Israel und Palästina. Im Konkreten wirkt sich die Instrumentalisierung eines Antisemitismus-Vorwurfes auch dort einschüchternd aus, wo sich Kolleg*innen in Betrieben, Gewerkschaften, Interessensverbänden nicht mehr trauen, Ungerechtigkeit und „das was ist“ klar zu benennen, ohne negative Konsequenzen für sich und ihren Job befürchten zu müssen.

Auch in der Sozialen Arbeit spüren wir den Druck von oben und die Unsicherheiten von unten, die die rechte Instrumentalisierung des Antisemitismus-Vorwurfes auslöst. Dagegen beziehen wir als Organisierte in unserer Branche Position und machen uns als Lohnabhängige Mut.

Für starke Gewerkschaften, Interessenvertretungen und Kolleg*innen der Sozialen Arbeit! 

Krieg und Krise sind Alltag für uns Lohnabhängige. Wenn wir überlegen, wie wir unsere Wohnung heizen, was wir uns zu essen leisten oder wie viel Miete wir noch zahlen können, zahlen wir die Kosten von Krieg und Krise der Herrschenden. Jedes Mal, wenn wir uns überlegen, ob wir uns trauen unsere Stimme deutlich gegen Krieg und Genozid und für Frieden zu erheben, riskieren wir dabei potentiell unseren Job. [2]

Doch gerade angesichts der Spaltung der Lohnarbeiter*innen durch Rassismus und Antisemitismus, rechte Hetze, kapitalistischer Konkurrenz, Kriegen und Genoziden, ist das praktische Zusammenkommen und das Benennen unserer Interessen für menschenwürdigere Arbeitsbedingungen und soziale Gerechtigkeit eine klare Antwort auf Spaltungsversuche – und ein Zeichen praktischer Solidarität.       

Dies zu tun, ist die Aufgabe von uns Kolleg*innen, unseren Interessenvertretungen und Gewerkschaften. 

Dabei gilt es, nicht vor den Rechten und ihrer Hetze einzuknicken, nicht in die herrschende Staatslinie einzustimmen, die mit vermeintlichem Verweis auf Menschenrechte und historische Verantwortung die deutsche Verantwortung für die globalen Kriege und Krisen – auch in Israel und Palästina – verschleiern. Warum ist das für uns Kolleg*innen der Sozialen Arbeit so wichtig zu betonen?

Gegen Einschüchterung und Opportunismus

Derzeit ist in der sozialen Arbeit, den Gewerkschaften, der Lehre in Schulen und Universitäten – de facto überall in der Gesellschaft – zu beobachten, dass unter dem Vorwand der Bekämpfung von Antisemitismus versucht wird, die notwendige Einheit als lohnabhängige Klasse zur Durchsetzung unserer Interessen gespalten wird – und zwar anhand der konstruierten Kategorien von Nation und Religion.

So wurden bspw. Akteur*innen der großen, kraftvollen Demonstration „Soziale Arbeit am Limit – Wir kämpfen gemeinsam! Gegen prekäre Arbeitsverhältnisse und für eine soziale Versorgungsstruktur für Alle!“ am 21.10.2023 mit dem verleumderischen Vorwurf des „Antisemitismus“ versucht unter Druck zu setzen. Es wurde versucht, (diffuse) Ängste zu säen und Spaltung zu erzeugen. Wir verurteilen dies, da gerade die hier genannte Demonstration Ausdruck gemeinsamer Kämpfe und der Einheit gegen Ausbeutung und Diskriminierung ist.

Gemeinsam wehren wir uns gegen rechte Hetze, die versucht Kolleg*innen einzuschüchtern und unsere Gewerkschaften auf die herrschende deutsche und israelische Staatslinie zu bringen. Dies soll letzlich internationale Solidarität unter Arbeiter*innen – so auch hier in Berlin und überall – für Frieden, Würde und soziale Gerechtigkeit verhindern. Die israelische Kriegs- und Besatzungspolitik sowie deren Unterstützung der Bundesregierung darf niemals von uns „Professionellen der Menschenwürde“ und aus den Gewerkschaften gerechtfertigt werden, wenn wir nicht zu Anhängseln derer werden wollen, die die Welt in Brand setzen.   

Wir Sozialarbeiter*innen machen den Mund auf      

Für uns ist klar: Als Sozialarbeitende sind wir durch unsere Berufsethik und unser politisches Selbstverständnis als Lohnabhängige dazu verpflichtet, Ungerechtigkeit, Unterdrückungen, Rassismus, Antisemitismus sowie Ursachen und Folgen von Kriegen klar zu benennen. Und dafür braucht es Orte. Im Rahmen unserer Demonstration kamen genau jene Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammen, die sonst gegeneinander aufgehetzt werden.

Die aktuelle Hetze von rechts darf hierzulande nicht dazu führen, dass wir inhaltlich hinter international anerkannte Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International zurückfallen. Auch diejenigen hier vor Ort, die sich tagtäglich unermüdlich für eine menschenwürdige Lösung des sogenannten Nahostkonfliktes einsetzen, wie die Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Palästina Spricht, der Jüdischen Bund und viele andere, unter denen  selbstverständlich auch viele Kolleg*innen der Sozialen Arbeit sind, dürfen nicht der aufgehetzten Stimmung preisgegeben werden.

Gemeinsam gegen Angst und Spaltung

Zu einer kritischen Auseinandersetzung als Kolleg*innen der Sozialen Arbeit gehört es, Verurteilungen von Positionen bezüglich der Besatzung und des Genozides in Gaza zurückzuweisen, die nicht den in Deutschland vorherrschenden entsprechen und somit fälschlicherweise pauschal als antisemitisch abgeurteilt werden. [3] Der deutsche Staatsapparat hat mit seinen Geldern, geschaffenen finanziellen Abhängigkeiten und Projekten, flankiert von bedeutenden Teilen der Nichtregierungsorganisationen, eine rechte Definition von Antisemitismus gestärkt, die nun mit Gewalt hegemonial gemacht werden soll. 

Diese Definition dient deutlich wahrnehmbar der Diffamierung und Kriminalisierung von migrantischen und linken Organisationen und Kulturprojekten, wie aktuell bei dem Neuköllner Kulturzentrum Oyoun. [4] Sie diente auch als Vorwand für ungerechtfertigte Hausdurchsuchungen in politischen und kulturellen Räumen sowie bei Personen wie am 20.12.2023.

Der Antisemitismus, der in Deutschland nach wie vor erschreckend präsent ist, will von den Herrschenden nicht ernsthaft bekämpft werden. Er wird hierzulande als Vorwurf gegen alles und jeden mobilisiert, was ihre politischen Absichten im In- und Ausland gefährden könnte. [5] Nur so können sich selbst rechte Hardliner wie Friedrich Merz, Markus Söder & Co als angebliche Vorkämpfer gegen Antisemitismus inszenieren. Die deutsche Staatsagenda gegen vermeintlichen Antisemitismus schadet bewusst der effektiven Bekämpfung des tatsächlichen Antisemitismus und seiner primären Ursachen: Des Kapitalismus und des daraus resultierenden „modernen Antisemitismus“ mit seinem Ursprung in der bürgerlichen, kapitalistischen Gesellschaft.

Linke, internationale Debatten und Forschungen zu Antisemitismus, Rassismus, Kolonialismus und Genoziden dürfen nicht mit einer rechten, deutschen und letztlich staatsaffinen Position zum Schweigen gebracht werden. Dies muss gerade dann betont werden, wenn sie die herrschenden Verhältnisse zum Wohle aller Menschen überwinden wollen. Wenn von „importiertem Antisemitismus“ gelogen wird, wenn unsere Klient*innen mittels des Vorwurfes, „antisemitisch“ zu sein, bedroht werden, ihre Einbürgerung zu verlieren und/ oder abgeschoben zu werden, wenn auch wir damit bedroht werden, unsere Projektgelder und damit unsere Arbeitsplätze zu verlieren, dann müssen wir unsere Stimmen erheben – und mit uns unsere Gewerkschaften und Interessenvertretungen!

Als sozialistische Organisation positionieren wir uns unmissverständlich für Menschenwürde und Frieden. Dies kann auch nochmals unmissverständlich in unserem Statement nachgelesen werden:

„[…] Flankiert wird diese nur vorgebliche Kampagne gegen Antisemitismus mit einem schon vor Monaten begonnenen rassistischen Migrationsdiskurs. Nun verkündet der Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), die „Zeit der Samthandschuhe ist vorbei“; Muslimische Verbände sollen unter Druck gesetzt und auf Staatslinie gebracht werden. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Kanzler Scholz (SPD) setzen nach; Asylgesetze sollen weiter verschärft und Abschiebungen erleichtert, Ausbürgerungen bei abweichenden Meinungsäußerungen möglich gemacht werden. Applaus erntet diese rechte und volksverhetzende Kampagne der Koalition von ganz rechts bis links. Wie passend. Rechte Kräfte wie die AfD können sich angesichts dessen getrost überflüssig fühlen; die Ampel macht ihre Politik und bereitet ihre mögliche kommende Regierungsbeteiligung mit vor. […]“      

Auch die Internationale Föderation der Sozialarbeitenden IFSW hat eine klare Position:

“ […] The Federation recognises that Palestinians have the right to live without occupation and to be able to build their independent state, also that Israelis have the right to live with security and without fear. […]”

Gemeinsam sind wir stark!

Die von rechts und dem Staat forcierte Spaltung darf keine Früchte tragen. Denn wenn sie damit durchkommen sollten, sind die Soziale Arbeit, ihre Berufsethik und auch wir als Klasse der Lohnabhängigen nur ihr Spielball. Angesichts von Diskriminierung, Ausbeutung und Unterdrückung lassen wir uns nicht einschüchtern – weder in den Gewerkschaften, noch im Betrieb. Wenn etwas wahres an der postulierten „Widerständigkeit von Sozialer Arbeit“ ist, die uns in Ausbildung oder Studium vermittelt wird, dann braucht es kollektive, ehrliche, mutige Stimmen und gelebte Solidarität. 

Als Solidaritätstreff „Hart am Limit“ kämpfen wir weiter mit den Gewerkschaften und den Kolleg*innen in den Trägern, um jenseits von Kosmetik wirkliche Verbesserungen in der kapitalistischen Arbeitswelt – für uns und unsere Klient*innen – durchzusetzen und die rassistische Hetze wirksam zurückweisen zu können. Dafür braucht es kämpferische Kolleg*innen und mit den Gewerkschaften einen starken Rücken. Daran werden wir auch in 2024, gemeinsam mit vielen anderen an unserer Seite, unermüdlich arbeiten. 

Wir lassen uns nicht (auf-)hetzen, denn: Gemeinsam als Kolleg*innen sind wir stark!

Gemeinsam machen wir uns im Solidaritätstreff für unsere Interessen als Arbeiter*innen stark. Informationen zu den kommenden Terminen findet ihr hier.


Leseempfehlungen

[1] Der Berliner Senat will mit dem Jahr 2024 die Zustimmung zur international umstrittenen Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) als zwingende Bedingung für kulturelle Förderungen durch den Senat festschreiben. Diese Definition wird jedoch aufgrund unklarer Formulierungen und daraus resultierenden Verunmöglichungen von Kritik am Staat Israel international kritisiert und ihr eine progressivere Definition gegenübergestellt. Diese „Jerusalemer Erklärung“ (2021) mit der Kritik an der IHRA-Definition kann hier nachgelesen werden.

[2] Wer sich nicht der rechten Stimmung beugt, riskiert den Job. Ein Interview mit einem gekündigten Guide im Jüdischen Museum Berlin.

[3] Genozid oder kein Genozid in Gaza? Der international anerkannte Holocaust- und Genozidforscher Raz Segev hat hierzu ein kurzes, lesenswertes Interview gegeben.

[4] Berliner Senat stellt Förderung des Neuköllner Zentrums Oyoun nach Ausrichtung eines Festes der „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ ein.

[5] Zur Instrumentalisierung des Antisemitismus(-Vorwurfes) empfehlen wir diesen Artikel zum „Lagebild Antisemitismus“ der Amadeu-Antonio-Stiftung.

In der Grafik: Stellvertreter*innen einer „wehrhaften“ Demokratie: Markus Söder (CSU), Friedrich Merz (CDU), Anetta Kahane (ehem. Vorsitz Amadeu-Antonio-Stiftung), Annalena Baerbock (Grüne)