Bericht des letzten Tresens: #Besetzen

Am Donnerstag, den 06.09.2018, fand wie jeden ersten Donnerstag im Monat unser Hände weg vom Wedding-Tresen mit dem Thema „#Besetzen: Legal, illegal, scheißegal“ statt. Hierfür hatten wir zwei Personen von der Kampagne „#besetzen“ zu einer gemeinsamen Diskussion eingeladen. Damit die Diskussion an diesem Abend nicht nur bei den Beteiligten Personen hängen bleibt und um wichtige Diskussionprozesse nach außen zu tragen, haben wir einen Bericht des Abends zusammengestellt, mit den (für uns) wesentlichen Punkten. 
Nachdem bereits im Frühling bei einer ersten Aktion der Kampagne am Pfingstsonntag 9 Häuser in Berlin und Potsdam besetzt wurden (alle wurden leider bereits am selben Tag geräumt), ist nun der „Herbst der Besetzungen“ ausgerufen worden. Hierbei sind alle Menschen aufgefordert sich in ihren Kiezen umzusehen, Leerstand zu beobachten und gegebenenfalls selbst zu besetzen. Während und nach den Besetzungen im Frühjahr gab es viel positives Feedback, sowohl von Seiten der Nachbar*innenschaft sowie von der Presse.  Hierbei kamen hunderte von Anfragen und der Presse wurden viele Interviews gegeben. Im Vorhinein hatte jedes Haus bereits eine eigene Pressemitteilung mit den politischen Forderungen veröffentlicht. Eine zentrale Forderung ist dabei, dass Wohnungen keine Ware sein dürfen. Diese richtet sich jedoch nicht primär an Parteien, denn die Erfahrung zeigt, dass egal welche Parteien gewählt wurden, Räumungen trotzdem stattfinden und die „Berliner Linie“ (Räumung innerhalb von 24 Stunden nach erfolgter Besetzung) konsequent durchgesetzt wurde. Zudem sollen selbstverwaltete Räume für alle geschaffen werden, die nicht von der Gunst des im Kapitalismus verankerten Parteiensystems abhängen sollen. Der Druck muss daher von unten aus der eigenen Nachbar*innenschaft kommen, um Besetzungen mit konkreten politischen Forderungen zu verknüpfen und Wohnen jenseits kapitalistischer Renditeinteressen ermöglichen zu können.

Die Auswahl der Häuser, beziehungsweise der Wohnungen, verlief nach unterschiedlichsten Kriterien. Die Wohnung in der Bornstorfer Straße 37b (#Borni) wurde ausgewählt, da sie Besitz der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft „Stadt & Land“ ist und deswegen Hoffnung bestand, die Besetzung länger halten zu können. Die Ladenräume in der Reichenbergerstraße wiederum wurde als 

Nachbarschaftszentrum ausgewählt, da sie relativ leicht begehbar sind und hier auf den skrupellosen Eigentümer (Akelius) aufmerksam gemacht werden sollte. 
Teile der Partei Die Linke haben sich im Nachhinein mit den Besetzungen solidarisiert. Dennoch wurden Besetzungen brutal durch Polizeieinsätze beendet. Während über den Verbleib im Haus verhandelt wurde, hat der Geschäftsführung von Stand und Land, die Räumung angeordnet und hat damit den Dialog unterbrochen. Selbst wenn es einen politischen Willen gegeben hätte das Haus zu halten, zeigt das Vorgehen, dass auf Zusagen von Parteien und Eignentümer*innen nicht vertraut werden kann.
Ob nun grundsätzlich überhaupt mit Politiker*innen gesprochen und verhandelt werden solle? Dazu gibt es wohl keine klare Linie. Egal wie sich entschieden wird, ob für oder gegen Verhandeln, ob für still oder öffentlich Besetzen: Alle Formen von Besetzungen können Vor- und Nachteile haben und es kommt auf die Strategien und jeweiligen Zielsetzungen an. Stille Besetzungen z.B. haben den Vorteil, dass sie aufgrund von sogenannten „wohnähnlichen Zuständen“ aus rechtlichen Gründen nicht so schnell geräumt und damit länger gehalten werden können. Dafür wiederum fehlt die notwendige Medienaufmerksamkeit, um die politischen Hintergründe von Besetzungen noch breiter kommunizieren zu können. 
Ein Punkt indem sich alle Versammelten im Raum einig waren, ist das Statement, dass Besetzen juristisch nicht „legal“, aber selbstverständlich legitim ist. Und so versucht das Land Berlin weiterhin Besetzer*innen zu kriminalisieren. Was bei Besetzungen zur Strafanzeige führen kann, ist mindestens der Vorwurf des Hausfriedensbruchs. 
Ein häufiges Argument gegen Besetzen ist, dass Besetzungen nicht über längeren Zeitraum haltbar sind, weswegen die Genossin* der Kampagne „#besetzen“ nochmals alle Vor und Nachteile von allen Möglichkeiten für den Erwerb/ Kollektivierung von Räumen aufzeigten. Kaufen habe den Vorteil, dass es zur langfristigen Nutzung berechtigt, dafür müssten auch einige Kompromisse eingegangen werden. Zum Beispiel muss eine erhebliche Geldsumme für den Erwerb an vermutlich bereits reiche, skrupellose Kapitalis*innen gezahlt werden. Das Geld kommt dabei oft aus Krediten und es muss mit Banken kooperiert werden. Zudem ist das Haus damit oft/meistens eher für die Menschen, die sich auch am Erwerb beteiligen konnten und somit nicht offen für alle, die Wohnraum ebenfalls dringend benötigen. Eine flächendeckende Versorgung von Menschen mit dringend benötigtem Wohnraum ist somit nicht möglich. Mieten wiederum hat den Nachteil, dass insbesondere Gewerbemietverträge sehr leicht kündbar sind, da die Rechte als (Gewerbe-)Mieter*innen stark begrenzt sind (wie das Beispiel des Kiezladens Friedel 54 in Neukölln zeigt). Besetzungen hingegen halten sich vielleicht oft nicht lange, eignet sich aber sehr gut um Eigentum generell und öffentlich in Frage zu stellen und politischen Druck auszuüben. Auf die Frage, warum es trotz akuter Wohnungsnot Leerstand in Berlin existiert, gibt es keine eindeutige Antwort. Dabei ist Leerstand nicht das einzige Problem, was an dem Abend problematisiert wird, sondern eine kapitalistische und auf profit-orientierte Wohnungspolitik, wo Wohnraum zur Ware wird. 
Oftmals wird von der Politik behauptet, die Eigentümer*innen seien nicht bekannt und es könne deshalb nichts gegen diesen Zustand getan werden. Wenn es jedoch zu Besetzungen kommt, fällt es jedoch wohl meistens sehr leicht, die Besitzer*innen der Wohnungen und Häuser zu ermitteln. Seit Jahrzehnten wird die sogenannte „Berliner Linie“ bei Besetzungen durchgesetzt, um selbstorganisierte Aneignung von Wohnraum zu verhindern. So werden Besetzungen nicht eine allgemeine Not an Wohnungen an sich lösen können. Jedoch zeigen sie Alternativen zu teuren Mieten, Zwangsräumungen und einem isolierten Wohnen auf.

Nächster Tresen: 04.10.18 | 20.30 Uhr | Café Cralle | Hochstädter Str. 10a