Das Vorkaufsrecht – Eine aktuelle Analyse aus dem Wedding

Die Ausübung des Vorkaufsrechts wurde im Herbst 2017 durch den Berliner rot-rot-grünen Senat beschlossen. Es kann in sog. Milieuschutzgebieten angewendet werden, also Kiezen, in denen die Gentrifizierung besonders dramatisch voranschreitet und Alteingesessene drastisch von Verdrängung bedroht sind. Das Versprechen hinter diesem Konzept: wird ein Haus verkauft, kann der neue Eigentümer durch den Bezirk zu einer Reihe von Zugeständnissen gezwungen werden, die eine Verdrängung der Mieter*innen im Haus erschweren soll (die sog. Abwendungsvereinbarung). Willigt der neue Eigentümer nicht ein, kann der Bezirk den Verkauf stoppen und das Haus stattdessen selbst kaufen. 

In diesem Sommer ging die Skjerven Group GmbH im Berliner Norden auf Einkaufstour. Insgesamt 13 Gebäude landeten im Einkaufskorb, alle liegen in „Milieuschutzgebieten“. Wir haben diesen Prozess beobachtet und wollen die Frage klären, ob das Vorkaufsrecht ein wirksames Instrument gegen Mietsteigerung und Verdrängung ist. Dazu werden wir kurz den Protest gegen Skervens Einkaufstour beschreiben, die Rolle der Bezirksämter betrachten, die Wirksamkeit und Effekte des Vorkaufsrechts bewerten und letztlich selbst über geeignete Instrumente nachdenken.

Keiner Braucht Einar – und seine Skjerven Group

Die SkjervenGroup GmbH ist die lokale Partnerin der Heimstaden Bostad AB, einem der größten schwedischen Wohnungsunternehmen. Die schwedische Firma Heimstaden befindet sich hauptsächlich in den Händen der norwegischen Fredensborg AS, welche wiederum dem norwegischen Milliardär Ivar Tollefsen gehört. Tollefsen besitzt 100 000 Wohnungen in Europa. Sein Vermögen wird von Forbes auf 2,9 Milliarden US Dollar geschätzt und er gilt nicht nur in seiner Heimat als skrupellos.

Skjerven hat seit 2006 auf dem deutschen und insbesondere Berliner Immobilienmarkt „Investitionen“ von über 1 Milliarde Euro getätigt. Die Skjerven Group hat sich vor allem auf die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen und die Zerschlagung von Wohnung in Micro-Apartment spezialisiert. Dabei sind ihn fast alle Mittel recht, die Profite in die Höhe zu treiben.

Ein Investor geht auf Einkaufstour – und es regt sich Widerstand

Als die Bewohner*innen der von Skjerven gekauften Häuser von dem Kauf erfuhren, organisierten sie sich und versuchten, den Bezirk zur Ausübung des Vorkaufsrechts zu bewegen. Es folgten mehrere Kundgebungen, ein offener Brief an die Berliner Politik und eine ganze Menge Öffentlichkeit. Nachdem der Bezirk bereits andeutete, von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch machen zu wollen, entschied sich Skjerven noch für den Kauf einer Handvoll weiterer Häuser im Berliner Norden. Von Abschreckung also keine Spur. Am Ende des Prozesses steht ein ernüchterndes Ergebnis: Nur bei drei der 13 Häuser wird am Ende das Vorkaufsrecht angewandt [1]. Von Schutz vor Verdrängung kann keine Rede sein – wie kommt es dazu?

Die Rolle der Bezirke

Bei der Durchführung des Vorkaufsrechts sind die jeweiligen Bezirke in Berlin verantwortlich. Je nach Bezirk ist also auch die Anzahl der Fälle, in denen das Vorkaufsrecht Anwendung findet, sehr unterschiedlich: während in Friedrichshain-Kreuzberg mehr als 650 Wohnungen durch das Vorkaufsrecht in städtische Hand überführt wurden, sind es in Lichtenberg gerade mal 33 [Stand Sommer 2019]. Das Bezirksamt Mitte tut sich bei Vorkaufsfällen regelmäßig vor allem durch schlechte Kommunikation mit den betroffenen Mieter*innen hervor. Das geschah auch im aktuellen Fall mit Skjerven: nachdem die Mieter*innen über den geplanten Verkauf ihres Hauses benachrichtigt wurden, geschah nichts mehr. Weder der aktuelle Stand des Verfahrens noch andere Informationen wurden an die Betroffenen weitergegeben. Die aktiven Hausgemeinschaften wurden vom Bezirk alleine gelassen.

Auch in Pankow hat die Skjerven Group diesen Sommer mehrere Häuser gekauft: Hier versäumte der Grüne Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn komplett, die betroffenen Mieter*innen über den Kauf zu informieren. Erst durch eigene Nachfrage erfuhren sie einen Monat vor Ablauf der Frist zum Vorkaufsrecht von dem Verkauf ihrer Häuser. Es blieb kaum Zeit für die Mieter*innen, den Vorkaufsprozess mitzugestalten. Schließlich wurden beide Häuser an die Skjerven Group verkauft.

Vorkaufsrecht – Nur in ganz speziellen Fällen 

Das Vorkaufsrecht kann immer nur beim Verkauf eines gesamten Hauses und nur in „Milieuschutzgebieten“ angewandt werden: Der Verkauf von einzelnen Wohnungen fällt nicht unter das Vorkaufsrecht. Das gleiche gilt für den Verkauf einer Gesellschaft – auch für teilweise Verkäufe von Gesellschaften, sog. Share Deals. Das Vorkaufsrecht kann also nur selten angewandt werden und wird leicht von Investor*innen umgangen.

In den letzten Jahren gelang es nur sehr wenigen aktiven Mieter*innen, den Bezirk zur Anwendung des Vorkaufsrechts zu drängen. Denn nur, wer die Bezirksämter frühzeitig zur Bewegung zwingt, hat überhaupt eine Chance. Das Vorkaufsrecht wird außerdem nur dort angewendet, wo sich eine städtische Wohnungsgesellschaft – bzw. eine Genossenschaften, Stiftungen etc. – als Käuferin für das Haus findet. Die Rentabilität des Hauses spielt dabei eine große Rolle. Der Schutz der Mieter*innen ist hier also nicht das wichtigste Kriterium. Ein Problem stellt auch der begrenzte städtische Finanztopf dar, mit dem das Vorkaufsrecht umgesetzt werden kann: weil klar ist, dass nicht alle Häuser gekauft werden können, konkurrieren die aktiven Mieter*innen unfreiwillig miteinander. In den letzten Jahren führte nicht einmal jede zehnte Überprüfung der Vorkaufsrechts auch zu einem Erwerb des Hauses.

Ein weiteres Problem ist, dass der Bezirk im Falle des Vorkaufsrechts überhöhte Spekulationspreise zahlen muss. Hier sind Profiterwartungen durch Mietsteigerungen und Modernisierung schon einkalkuliert. Der Gesetzgeber folgt also einfach den Prinzipien des kapitalistischen Wohnungsmarktes. Wenn der Bezirk dann vorkauft, muss also entweder eine entsprechende Mietsteigerung vorgenommen werden oder die Steuerzahler*innen müssen Spekulationspreise quersubventionieren. Der Preisexplosion auf dem spekulativ überhitzten Berliner Wohnungsmarkt wirkt das Vorkaufsrecht also nicht effektiv entgegen.

Im Besten Fall: Kein Ende des Mietenwahnsinns

Im Fall der Skjerven Group haben am Ende nur drei Häuser Glück: Die Waldenser Straße 9 geht per Vorkaufsrecht in letzter Sekunde an die degewo. Fraglich ist jedoch, ob dies das Ende des Mietenwahnsinns für die Bewohner*innen bedeutet. Zumindest hat die degewo in den letzten Jahren bewiesen, dass auch sie gerne Profite mit der Miete macht. 

Es bleibt zu hoffen, dass die Oldenburger 3 mit der Genossenschaft EVM und die Luxemburger Str. 31 mit der WBM als neuen Eigentümerinnen weniger Interessenwidersprüche auszutragen hat. 

Wenn schon kein Vorkauf, dann wenigstens Abwendungsvereinbarung?

Eines der Hauptziele der Bezirke ist die Unterzeichnung einer Abwendungsvereinbarung. Der Abschreckungseffekt, das Vorkaufsrecht zu ziehen, bleibt angesichts der sehr geringen Anwendung jedoch bescheiden. Der genaue Inhalts der Abwendungsvereinbarung wird den betroffenen Mieter*innen häufig nicht mitgeteilt. Darüber hinaus ist sie nur auf Zeit angelegt und bietet nach dem Ablauf der Vereinbarung die Möglichkeit, die Profitsteigerung nachzuholen. 

Insgesamt können wir feststellen, dass das Vorkaufsrecht:

  • selten von den Bezirken gezogen wird, 
  • überhaupt nur in seltenen Fällen anwendbar ist, 
  • nur von gut vernetzten Mieter*innen durchsetzt werden kann
  • sehr teuer für die Allgemeinheit ist
  • viel zu kurze Fristen hat, um demokratische Mitbestimmung zu ermöglichen
  • keine Abschreckung für Investor*innen hervorbringt

Um die Mieter*innen in Berlin effektiv vor Mieterhöhungen und Verdrängung zu schützen, ist das Vorkaufsrecht also nicht geeignet.

Wie sehen die Alternativen aus?

Alternativen zum Vorkaufsrecht müssten Mieter*innen langfristig vor Verdrängung schützen, für die meisten Wohnhäuser in Berlin anwendbar sein und einen abschreckenden Effekt auf Investor*innen ausüben, die Profite mit der Miete machen wollen.

Hier stellt momentan vor Allem die Vergesellschaftung großer Immobilienfirmen eine ernstzunehmende Möglichkeit dar, wie sie vom Bündnis Deutsche Wohnen und Co enteignen gefordert wird. Viele Fehler des Vorkaufsrechts wären hier behoben: die Vergesellschaftung eines signifikaten Anteils der Wohnhäuser in Berlin würde den darin lebenden Menschenvor Verdrängung schützen. Die Entschädigungen für die Wohnungsunternehmen könnten dabei deutlich unter dem aktuellen Verkehrswert liegen, so dass auch die Allgemeinheit günstig davonkäme. Da die enteigneten Häuser dauerhaft in die öffentliche Hand überführt würden, wäre auch der Effekt dieses Instruments von großer Dauer. Vergesellschaftung ist momentan das effektivste Mittel, um den Mietenwahnsinn zu bekämpfen. Wer also ein echtes Vorkaufsrecht will, muss dieses konsequenterweise über Enteignung regeln!

Hände weg vom Wedding (Mietenkampfkommission)


[1] Während sich das Bezirksamt Mitte damit brüstet das Vorkaufsrecht für die Waldenserstraße 9, der Oldenburgerstraße 3 und der Luxemburger Str. 31 gezogen zu haben, werden die Mieter*innen der OsKo, Siemensstr. 13-14, Genter Str. 7 und der Häuser in Pankow (Paul-Robeson-Str. 27, Malmöer Straße 12 u 15, Czarnikauer Str. 11) an die Skjerven Group verkauft