DW & Co Enteignen: Vom Volksentscheid zur Organisierung!

Mit diesem kurzen Text wollen wir als Stadtteilgruppe Hände weg vom Wedding einen kritisch-solidarischen Blick auf das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ werfen. Wir diskutieren außerdem, welche Rolle die Radikale Linke dabei einnehmen kann und wie eine weitere Mietenorganisierung in Berlin aussehen könnte.

„Deutsche Wohnen & Co enteignen“ (DWE) ist die erfolgreichste Kampagne zur Vergesellschaftung der letzten Jahrzehnte. Die Kampagne hat es nicht nur geschafft, Enteignung von Privateigentum als politisches Instrument diskursfähig zu machen, sondern stellt auch ganz konkret die Eigentumsfrage. Das ist etwas, was weder „linke Parteien“ noch die Radikale Bewegungslinke in den letzten Jahren erreicht hat. Dabei hat DWE es geschafft, viele tausende Menschen zu (re)politisieren und in ihre Kampagne einzubinden. Die überwältigende Anzahl an Unterschriften, die für den Volksentscheid gesammelt werden konnten, sowie aktuelle Umfragen unter Berliner*innen zeigen[1]: die Chancen, dass der Volksentscheid am 26.9. gewonnen wird, stehen nicht schlecht!

Eine Kampagne mit breiter Basis: DWE schafft reale Perspektiven auf materielle Verbesserungen für viele Menschen in Berlin: werden Deutsche Wohnen & Co tatsächlich enteignet, bleibt für Viele am Ende des Monats mehr Geld zum Leben. Eine Wohnraumversorgung, die nicht den Dividenden von Aktionär*innen, sondern den Bedürfnissen der Berliner*innen dient, rückt damit ein kleines Stück näher. Diese Aussicht motiviert offenbar, für Enteignung aktiv zu werden. Gespeist wurde die Kampagne auch durch die starke Berliner Mietenbewegung, die in den letzten 10 Jahren entstand und auf erfahrene Strukturen und Know-How zurückgreifen kann. Durch ihre realpolitische Ausrichtung (als Volksbegehren) konnten sich außerdem auch große öffentliche Akteur*innen (z.B. Gewerkschaften oder Sozialverbände) hinter die Bewegung stellen, ohne einen konservativen Shitstorm befürchten zu müssen. Das verbreiterte den Unterstützer*innenkreis und die mediale Reichweite der Kampagne erheblich. 

Lokaler Bezug und Beziehungsarbeit: Große Kampagnen binden Aktive typischerweise nur lose in ihre Zusammenhänge ein – die entstandenen Strukturen zerfallen dann häufig nach dem Ende der Kampagne. DWE hat hier einige gute Ansätze gefunden, um das zu verhindern: die Kampagne selbst ist in sog. „Kiezteams“ organisiert, welche auf lokaler Ebene autonom agieren. Das schafft eine einfache Möglichkeit, Anschluss zu finden und selbst aktiv zu werden: die niedrigschwelligen Angebote (Plakatieren oder Unterschriften sammeln) schafften nicht nur einen schnellen Einstieg, sondern ermöglichten auch eine soziale Anbindung an die Struktur. Die Einsicht, dass eine Kampagne nicht nur mit guten Inhalten, sondern auch mit geleisteter Beziehungsarbeit wächst, wird in Radikalen Linken Kontexten gerne vernachlässigt – DWE zeigt hier, wie es geht! Trotzdem bleibt für uns eine offene Frage, wie viele Strukturen nach dem 26.9. weiter aktiv bleiben werden – und in welchem Kontext.

Herausforderungen: Für die Wochen bis zum Volksentscheid steht die Kampagne vor der Herausforderung, den Schwung aus der Unterschriftenphase weiter in den Wahlkampf zu tragen. Hier soll das Mittel der Haustürgespräche im Zentrum stehen, welches für die Aktivist*innen deutlich anspruchsvoller als das Sammeln von Unterschriften sein dürfte. Hier gibt es kein „Belohnungsmoment“ in Form gesammelter Unterschriften mehr, sondern im schlimmsten Fall stehen die Aktivist*innen vor verschlossenen Haustüren oder ablehnenden Mieter*innen. Dazu kommen noch die Kampagnen von CDU, Immobilienwirtschaft & Co., die Angst vor „Kommunismus und Planwirtschaft“ schüren und gegen den Volksentscheid Stimmung machen.

Und dann wird enteignet? Auch wenn der Volksentscheid erfolgreich verläuft, erwarten wir nicht, dass die nächste Berliner Regierung tatsächlich einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der den Zielen der Kampagne entspricht.  Schon im aktuellen Wahlkampf zeigen sich SPD und Grüne ungewillt, den Volksentscheid dann auch tatsächlich umzusetzen [2]. Somit lässt sich auch von einer potenziellen Grün-Rot-Roten Landesregierung kein Bekenntnis zur Vergesellschaftung erwarten. Zumindest droht uns ein aktives Verschleppen der praktischen Umsetzung. Hier zeigen sich deutlich die Grenzen der bürgerlichen parlamentarischen Demokratie.

Falls wider Erwarten tatsächlich vergesellschaftet werden sollte, zeigt das Beispiel des gekippten Berliner Mietendeckels, dass die deutschen Gerichte privates Eigentum um jeden Preis verteidigen werden[3]. Der bürgerliche Staat ist darauf ausgerichtet, Privateigentum zu schützen und die Verwertungsmaschine am Laufen zu halten. Diese Einsicht müssen wir uns immer wieder bewusst machen. Eine potentiell erreichte Vergesellschaftung wird also noch Jahre später gefährdet sein und muss aktiv verteidigt werden. Da sich DWE als Volksbegehren konstituiert hat, macht es sich stark vom Wohlwollen von Landesregierung und Gerichten abhängig. Natürlich können die Möglichkeiten der parlamentarischen Demokratie genutzt werden – wir sollten uns allerdings nicht der Illusion hingeben, dass tatsächliche Veränderungen der Besitzverhältnisse strukturell vorgesehen oder erwünscht sind [4]. Das ist den Aktiven durchaus bewusst, muss aber immer wieder klar betont werden. Sollte das Volksbegehren an mangelnder Zustimmung scheitern, wäre das ein herber Rückschlag für die bundesweite Mietenbewegung. Wird es jedoch trotz gewonnener Abstimmung nicht umgesetzt oder von Gerichten kassiert, kann das einen Moment der Radikalisierung darstellen.

Und jetzt? Organisierung! Die stellenweise sehr harsche Kritik des autonomen Spektrums der Radikalen Linken [5] an DWE können wir nur an wenigen Stellen nachvollziehen – vor Allem stellen wir fest, dass DWE viele Menschen mobilisiert und politisiert hat. Die Kampagne hat gezeigt, dass Aktivismus und Organisierung erfolgreich verlaufen können. Hier müssen wir als Revolutionäre und Sozialistische Linke nicht nur die Kampagne unterstützen, sondern auch selbst von ihr lernen. Unser Support für DWE sollte nicht von außen, sondern aus der Bewegung heraus stattfinden. Vertrauen in uns und unsere Ideen kann nur enstehen, wenn wir selbst als Aktive die Bewegung unterstützen, Haustürgespräche führen und vermeintlich weniger radikale Aktivist*innen in ihren Positionen und Lebensrealitäten ernst nehmen. Dabei sollten wir im Umgang mit Mieter*innen und Aktivist*innen vor Allem zuhören, lernen und unsere eigenen klassenkämpferischen Standpunkte anschlussfähig vermitteln. So kann es gelingen, den Diskurs um Enteignung gemeinsam weiterzuentwickeln. Vergesellschaftungen sind auch in anderen Kontexten denkbar, z.B. im Gesundheitssektor, der Infrastruktur oder anderen sog. „systemrelevanten Bereichen“. Die Krankenhausbewegung in Berlin bietet hier viele Anknüpfungspunkte, aber auch andere Themengebiete bieten sich dafür an, intersektionale Kämpfe zu führen. Dafür müssen wir das Instrument der Vergesellschaftung und der demokratischen Selbstverwaltung weiter diskursfähig halten und Organisationen aufzubauen, die langfristig solche Kämpfe führen können. Es stellt sich die gemeinsame Frage, wie ein Vergesellschaftungsansatz aussehen kann, der nicht auf das Wohlwollen von parlamentarischer Politik und Gerichten angewiesen ist.

Außerdem sollten wir gemeinsam Strukturen aufbauen, die auch in den nächsten Jahren entschlossen für unsere Interessen eintreten und organisiert genug sind, um der neoliberalen Stadtpolitik etwas entgegenzusetzen. Dabei geht es also um einen Übergang aus einer (mittelfristigen) Kampagne mit realpolitischen Zielen und einer losen Anbindung von Aktiven zu einer langfristigen, verbindlichen, klassenkämpferischen Organisierung der Mieter*innen. Aus den letzten Jahren sehen wir außerdem, dass bürgerliche und parlamentarische Strukturen versuchen, unsere Strukturen und Inhalte zu vereinnahmen, zu befrieden oder zu spalten. Dagegen müssen wir uns entschlossen zur Wehr setzen.
Konkret bedeutet das auch, die inhaltliche und methodische Radikalisierung der Mietenbewegung in Berlin voranzutreiben. Denn auch wenn ein erfolgreicher Volksentscheid die Wohnsituation vieler Berliner*innen verbessern wird: die grundlegenden kapitalistischen Verhältnisse ändert er nicht. Hier brauchen wir eine starke gemeinsame Perspektive, die weiter den Bruch mit den bestehenden Zuständen sucht. DWE hat momentan ungefähr 3.000 Aktive – man stelle sich vor was möglich ist, wenn so viele Menschen in Mietenkontexten fest organisiert wären und z.B. Zwangsräumungen blockieren würden.

Wir als rätedemokratische Stadtteilorganisation haben hier mit unserem rätedemokratischen Organisierungsansatz in den letzten Jahren eine gewisse Vorarbeit leisten können[6], welche wir gerne innerhalb der Bewegung zur Diskussion stellen. Ein wichtiger Teil sind dabei unsere Vorfeldstrukturen, die einen ersten Schritt in Richtung langfristige Organisierung bieten: Unser Solitreff Soziale Arbeit, das Frauen*streikkomitee Wedding, das Offene Antifaschistische Antirassistische Netzwerk oder zu Mietenkämpfen Mietenwahnsinn Nord.

Egal, wie dieser Volksentscheid ausgeht: wir als Hände weg vom Wedding werden weiter am Aufbau revolutionärer Strukturen in unseren Kiezen arbeiten, für die demokratische Vergesellschaftung kämpfen und die Berliner Mietenbewegung nach Kräften unterstützen!

Fußnoten:

[1] „47 Prozent der Berliner für Enteignungen von Immobilienkonzernen“, Robert Kiesel, Tagesspiegel, 21.04.2021, online unter: https://www.tagesspiegel.de/berlin/nach-mietendeckel-aus-47-prozent-der-berliner-fuer-enteignungen-von-immobilienkonzernen/27116116.html

[2] „Giffey: Enteignungen sind das falsche Mittel“, Die Welt, 24.02.2021, online unter:  https://www.welt.de/regionales/berlin/article226976141/Giffey-Enteignungen-sind-das-falsche-Mittel.html

[3] siehe hierzu: „Klassenjustiz?! – Dann eben Enteignung!“, Hände weg vom Wedding!, 15.04.2021, online unter: https://www.unverwertbar.org/aktuell/2021/6248/

[4] siehe hierzu: „Nach Artikel 15 des Grundgesetzes können unter anderem Grund und Boden sowie Produktionsmittel zum Zweck der Vergesellschaftung enteignet werden. Der Artikel ist Ausdruck eines wie auch immer diffusen kapitalismuskritischen Grundkonsenses unter den Parteien im frühen Nachkriegsdeutschland. Er steht für den Willen der Verfassungsgebenden Versammlung, die zukünftige soziale Ordnung in Deutschland nicht verfassungsmäßig auf eine privatkapitalistische Marktwirtschaft festzuschreiben. Den Hintergrund für diese Offenheit bilden massive Streiks und Sozialisierungsforderungen, insbesondere in Bereichen der Schwerindustrie, die den Prozess der Entwicklung des Grundgesetzes begleiteten.“, Kalle Kunkel, Forum Recht, 11.06.2019, online unter: https://www.linksnet.de/index.php/artikel/47736

[5] vgl. https://kontrapolis.info/1821/

[6] „Bau auf. Bau auf! Revolutionäre Stadtteilarbeit neu organisieren“, Hände weg vom Wedding!, revolt magazine, 30.04.2019, online unter: https://revoltmag.org/articles/bau-auf-bau-auf-revolution%C3%A4re-stadtteilarbeit-neu-organisieren/