Soziale Probleme brauchen soziale Lösungen – zu den aktuellen Entwicklungen am Leopoldplatz

Schon seit Längerem verfolgen, begleiten und kommentieren wir die derzeitigen Entwicklungen am Leopoldplatz. Nun sind auch größere Medien wie der Tagesspiegel auf die Konflikte aufmerksam geworden und immer mehr Politiker*innen schließen sich dem Ruf nach mehr Polizei an. Doch die Polizei wird die Situation nicht verbessern, sondern verschlimmern. Warum das so ist, wollen wir in diesem Beitrag grundlegend erklären. In den nächsten Monaten werden weitere Beiträge folgen, die auf einzelne Aspekte detaillierter eingehen. Wir hoffen damit zu einem Umdenken bei den Anwohner*innen beizutragen.

Der Leopoldplatz, das Herz des Weddings, gilt als sozialer Brennpunkt. Das bedeutet vor Allem, dass hier verschiedene Lebensrealitäten aufeinandertreffen. Bleiben Arme unter sich, versinken sie im Elend, sterben sie leise vor sich hin, erregt das kaum öffentliche Aufmerksamkeit. Doch stören sie Kommerz, Konsum und die Aufwertung eines Viertels, werden sie zum politischen Konfliktthema. Genau das können wir gerade am Leopoldplatz beobachten.

Die zugrundeliegenden sozialen Probleme haben strukturelle Ursachen: Die Mieten in Berlin steigen seit Jahren unaufhörlich. Immer mehr Menschen können sich das einfach nicht mehr leisten, müssen wegziehen oder landen auf der Straße. Wenn Wohnraum eine Ware ist, dann ist Obdachlosigkeit keine zufällige Randerscheinung. Konkurrenzdruck, gesellschaftlicher Ausschluss und die Härte des Straßenlebens führt bei einigen zusätzlich zum Drogenkonsum.

Doch Drogenkonsum und Obdachlosigkeit sind seit Jahrzehnten Teil des Leopoldplatzes. Woher kommen die aktuellen Konflikte? Auf der einen Seite ist der Leo im Wandel. Das Kapital sucht nach Anlagemöglichkeiten. Die Cafés werden hochpreisiger. Die Wohnungen werden teurer. Die Menschen der Umgebung werden vermögender. Auch vor dem Wedding macht die kapitalgetriebene Gentrifizierung keinen Halt. Sichtbarer Ausdruck davon sind etwa die Verdrängung vom Café Leo oder die aufwendige Umgestaltung des Maxplatzes.

Auf der anderen Seite hat sich auch das Leben der Obdachlosen am Leo verändert. Corona-Pandemie und Inflation sorgen dafür, dass sie noch weniger Geld haben. Das Leben wird härter, genauso wie die Drogen. Zudem kommen immer mehr Menschen zum Leo, die woanders verdrängt wurden: sei es durch die Polizeiwache am Kotti oder die Maßnahmen am Hansaplatz, der schon vor zwei Jahren zum obdachlosenfeindlichsten Ort Berlins gekürt wurde. Soziale Angebote in der Umgebung mussten schließen, wie etwa der „Warme Otto“ in Moabit. 

Beide Prozess bedingen sich. Der Konflikt ist vorprogrammiert.

Anwohner*innen schlagen Alarm: Sie berichten davon, abends nach Hause zu kommen und über Fäkalien steigen zu müssen, oder über Menschen die im Rausch kaum noch lebendig aussehen. Sie beschweren sich über Beschaffungskriminalität, Pöbeleien und Schlägereien. Es ist nicht schön, das alles sehen zu müssen.

Aber mehr Polizei ist keine Lösung: Die zunehmende Präsenz der Polizei – insbesondere durch zivile Einheiten – sorgt primär für Verunsicherung, erschwert die Arbeit sozialer Angebote und verdrängt die Konsumierenden in die angrenzenden Nebenstraßen. Das Problem wird so vielleicht zeitweilig verschoben aber nicht gelöst. In dem Prozess wird aufgebauter Kontakt und Vertrauen zwischen sozialen Angeboten und Obdachlosen zerstört und die Situation sogar verschlimmert. Im schlimmsten Fall kann der Einsatz der Polizei dabei tödlich enden, wie zahllose Fälle der Vergangenheit zeigen. Die Polizei ist eine Institution der Gewalt. Sie stabilisiert dieses System der Klassenherrschaft.  Noch niemals hat die Polizei zur Lösung sozialer Konflikte beigetragen.

Was bräuchte es stattdessen? Wenn Drogenkonsum in der Öffentlichkeit nicht gewollt ist, dann braucht es alternative Räume für Konsumierende. Sichere Konsumräume und soziale Angebote scheitern jedoch häufig an überteuerten Mieten, mangelnder Finanzierung und dem Widerstand von Anwohnenden. Das zeigt sich zum Beispiel an der erfolglosen Raumsuche von Fixpunkt am Leo oder dem Widerstand gegen den Konsumraum auf der Müllerstraße in 2021. 

Weiterhin müssten endlich alle betroffenen Menschen effektiven Zugang zu Substitutionsangeboten erhalten. Die mangelhafte Finanzierung solcher Angebote verhindert, dass drogenkonsumierende Menschen die Hilfe bekommen, die sie brauchen. Beides würde die Zustände am Leopoldplatz für alle Beteiligten verbessern.

Um die Obdachlosigkeit in Berlin zu beenden gäbe es im Wedding genug illegalen Leerstand, um allen Menschen eine Wohnung zu verschaffen. Wohnraum muss gemeinschaftlich verwaltet werden und darf kein Spekulationsobjekt darstellen. Deshalb setzen wir uns für die Enteignung von großen Wohnungskonzernen ein. Für diese Ziele kämpfen wir seit über zehn Jahren. 

Gerne unterstützen wir Anwohnende bei allen Kämpfen, die in diese Richtung weisen und eine soziale Lösung der Konflikte am Leopoldplatz anstreben. Doch den Rufen nach mehr Polizei, mehr Repression, mehr Verdrängung werden wir uns niemals anschließen. Wir kämpfen jederzeit gegen ein System welches Armut hervorbringt – aber niemals gegen arme Menschen.