Was tun? – Ein Kommentar zur Berliner Mietenbewegung

Seien wir ehrlich: Es steht nicht gut um die Wohnungsfrage in Berlin. Die letzten großen Demonstrationen der Mietenbewegung liegen mittlerweile Jahre zurück. Der gewonnene Enteignungs-Volksentscheid wurde von der Berliner Regierung erfolgreich verschleppt und die Verdrängungsprozesse in vielen Kiezen gehen ungebremst weiter. Gleichzeitig wirkt die Mietenbewegung kraftlos und resigniert. Was läuft schief?

In den letzten Wochen sind schon einige Einschätzungen zur außerparlamentarischen Berliner Mietenbewegung erschienen [z.B. hier und hier], in diesem Beitrag möchten wir unsere teilen. Dabei erklären wir auch, welche Überlegungen uns zu unserer aktuellen Praxis geführt haben. Wir freuen uns auf Reaktionen, Kommentare und Kritik an mietenkampf@unverwertbar.org. Ebenso freuen wir uns auf Einladungen zu gemeinsamen Diskussionen – damit wir gemeinsam eine Bewegung aufbauen, die mindestens genauso groß ist wie die Krise auf dem Berliner Wohnungsmarkt. 

Die Krise auf dem Berliner Wohnungsmarkt hat einen langen Anlauf genommen. Seit 2000 erlebte Berlin einen kontinuierlichen Zuzug von Menschen. Schon früh deutete sich damit an, dass die Nachfrage nach Wohnraum steigen wird. Inmitten dieser Entwicklung hat der damalige rot-rote Senat 2004 die „Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft“ (GSW) mit ihren 65.000 Wohnungen an private Investoren verschleudert. In den kommenden Jahren wurden statt bezahlbarem Wohnraum hochpreisige Prestigeprojekte wie die Mediaspree gebaut. 2008 führte das Platzen der US-Immobilienblase dann zu einer Krise der Finanzmärkte. In der Folge wurde anstatt mit Aktien vermehrt mit vermeintlich sicheren Immobilienwerten (oft auch als Betongold bezeichnet) spekuliert. Seitdem kennen die Mietpreise in Berlin keine Grenzen mehr. Die kapitalgetriebene Gentrifizierung und Verdrängungsprozesse nahmen drastisch zu und betrafen bald breite Teile der Berliner Bevölkerung.

Damals begann der Protest an der eigenen Haustür. An vielen verschiedenen Orten organisierten sich von Verdrängung betroffene Hausgemeinschaften und Initiativen, um gemeinsam aktiv zu werden. Viele Kämpfe hatten zunächst einen persönlichen und defensiven Charakter: gegen den Verkauf des eigenen Hauses an einen Investor, gegen die Zwangsräumung der Nachbarin oder gegen die Eigenbedarfskündigung der eigenen Wohnung. Die Bedrohungslage für die Betroffenen war meist akut. Es musste schnell gehandelt werden. Vernetzung, Organisation und politischer Kampf wurden kurzfristig zum Teil des Alltags. 

Vernetzung und Erfolge. Einige Aktivist*innen und besonders aktive Vertreter*innen der Hausgemeinschaften haben sich zunächst unter anderem in der „Wir bleiben Alle – Kampagne“ und später im „Mietenwahnsinnbündnis“ zusammengeschlossen. Seit 2018 ist es diesem losen Netzwerk mehrfach gelungen, mehrere 10.000 Menschen zu Demonstrationen zu mobilisieren und breite zivilgesellschaftliche Netzwerke zu knüpfen. Die Demonstrationen fanden ein breites Medienecho und die Mietenfrage wurde öffentlich diskutiert. Die neue Berliner Wohnungsfrage war aus der öffentlichen Debatte nicht mehr wegzudenken. Es folgten sehr dynamische Jahre in der Berliner Stadtbewegung, die größere Ziele erreichbar erschienen ließen: „Spreeufer für Alle“ – Bürgerentscheid, Mietenvolksentscheid, „100% Tempelhofer Feld“, Besetzungswellen gegen Leerstand, Milieuschutz, Mietpreisbremse, Mietendeckel. Die Perspektiven der Bewegung wurden größer als das eigene Haus. Die Parteienpolitik musste sich mindestens verbal – und manchmal auch praktisch – hinter die Anliegen der Mieter*innen stellen.

Alle für die Enteignung. 2019 fand die Bewegung dann ihren vorläufigen Höhepunkt mit dem Enteignungsvolksentscheid. Hier wurde endlich die Eigentumsfrage gestellt.  Ein Erfolg hätte die Lebensbedingungen vieler Berliner*innen großflächig und spürbar verbessert. Für kurze Zeit konzentrierte sich die Kraft vieler alter und neuer Aktiver auf ein einzelnes Projekt, und diese Arbeit wurde belohnt – im Herbst 2021 stimmte eine Mehrzahl der Berliner*innen für die Enteignung von großen Wohnungskonzernen. Auf dem Weg dorthin wurden viele Menschen politisiert und die Vergesellschaftung von Grundgütern wurde wieder zu einer mehrheitsfähigen Idee.

Der Rollback rollt. Doch der Höhepunkt stellt auch das vorläufige Ende einer Bewegung dar. Dass die Umsetzung der Enteignung nach dem erfolgreichen Volksentscheid kein Selbstläufer wird, war absehbar. Die Enteignungskampagne hat zu starke Hoffnungen auf einen parlamentarischen Weg geweckt und keinen Plan für das Scheitern dieses Weges gehabt. Ob die Gründe dafür in knappen Kapazitäten oder Illusionen gegenüber Parteipolitik und bürgerlichem Staat zu suchen sind, kann die Kampagne nur selbst beantworten. 

Im gleichen Zeitraum sind auch noch zentrale Erfolge der Bewegung gerichtlich gekippt worden – Vorkaufsrecht und Mietendeckel gehören der Vergangenheit an. Viele weitere tausend Menschen und eine ganze Reihe alternativer Räume sind zwangsgeräumt wurden. Die Mietenwahnsinn-Demonstrationen werden immer kleiner und wirken eher wie die rituelle Wiederholung des Immer-Gleichen, statt als Momente der Dynamik und Zuspitzung. Die Organisierung in vielen Hausgemeinschaften ist wieder eingeschlafen, eine langfristige politische Bindung vieler zeitweise aktiver Menschen ist gescheitert. Die ganz großen Siege konnten nicht errungen werden und viele Erfolge wurden nicht verteidigt. Die Berliner Mietenbewegung scheint aktuell am Boden.

Was haben wir erlebt und gelernt? Auch wir sind Teil der Bewegung. „Hände weg vom Wedding“ ist als Demobündnis und später als Gruppe gegen Gentrifizierung im Berliner Norden entstanden. Mehrere Jahre haben wir primär Menschen unterstützt, die direkt und akut von Verdrängung betroffen waren. Wir haben zahlreiche Kundgebungen und Demonstrationen unterstützt oder selbst organisiert. Unsere Erfahrungen aus dieser Praxis dürften viele Aktive teilen: häufig wirkten Abwehrkämpfe, beispielsweise gegen Zwangsräumungen, wie ein Durchlauferhitzer. Aufgaben mussten unter hohem Zeitdruck erfüllt werden, für den nachhaltigen Aufbau von Strukturen oder die gemeinsame politische Bildung war keine Zeit. Letztlich war nur ein kleiner Teil aller Aktionen erfolgreich. Dabei waren wir zumeist auf Wohlwollen von Bezirkspolitik, Gerichtsvollzieher*innen oder Vermieter*innen angewiesen, weil uns die Stärke fehlte Veränderungen selbst durchzusetzen. Neben schönen Treffen, neu geknüpften Netzwerken und Momenten der Freude gab es immer wieder auch Frustration, Resignation und Überforderung. Zahlreiche Nachbar*innen, mit denen wir gemeinsam gekämpft haben, wurden verdrängt.

Während dieser zahlreichen Kämpfe haben wir meist zu wenig getan, um die Grundlage für eine langfristig erfolgreiche Politik zu schaffen: eine durchsetzungsfähige Organisation, die lokal im Alltag der Menschen verankert ist. 

Was brauchen wir, um zu gewinnen? Inzwischen ist uns die nächste Hausversammlung mit 15 Menschen wichtiger als die nächste Demo mit den gleichen 200 bekannten Gesichtern. Wir glauben, dass nur der langfristige Aufbau sozialistischer Basisgruppen zu einem Erfolg der Mietenbewegung führen kann. Wir versuchen, mit gutem Beispiel voran zu gehen: unsere eigene verbindliche Organisierung gewährleistet die Beständigkeit unserer Arbeit und ermöglicht die Weitergabe von Wissen und die Bündelung von Kämpfen. Die Wohnungsfrage kann nicht isoliert gelöst werden. Deshalb verbinden wir in unserer Arbeit Mietenkämpfe mit Arbeitskämpfen, antifaschistischen und feministischen Kämpfen. Durch vielfältige politische, soziale und kulturelle Angebote in unseren Kiezen schaffen wir verschiedenste Anknüpfungspunkte an sozialistische Politik und bauen stabile Netzwerke auf. Die Perspektive Sozialismus bietet eine klare Orientierung für alle unsere Aktivitäten. Daran werden strategische und taktische Fragen diskutiert. In Verbindung mit kontinuierlicher gemeinsamer Bildung schützen wir unsere politische Arbeit so vor Beliebigkeit oder Systemintegration. Durch lebendige Diskussionen schaffen wir es, Menschen langfristig einzubinden und gemeinsam zu wachsen. Aus unserer Sicht können nur verbindliche Organisationen die die Grundlage sein, um gesellschaftliche Veränderungen zu erkämpfen und zu verteidigen. 

Was bedeutet das konkret?

1.     Basisarbeit ist zentral. Wir glauben, dass sich Menschen vor allem anhand eines konkreten gemeinsamen politischen Kampfes politisieren. Dort spüren wir den Klassenwiderspruch mit Vermieter*innen, dort spüren wir die Verbundenheit als Hausgemeinschaft, dort gibt es den Raum für gemeinsame Diskussionen und Entwicklungen. Für den Aufbau einer schlagkräftigen Mieter*innenbewegung müssen Mieter*innen anfangen für ihre eigenen Interessen gemeinsam zu kämpfen. Das wird nicht von allein passieren. Menschen brauchen Unterstützung bei der Organisierung, andernfalls würden wir schon längst in einer besseren Gesellschaft leben. Dieser Basisaufbau geht nicht durch Social-Media-Arbeit oder die x-te Broschüre, sondern in konkreten Kämpfen und im direkten Kontakt mit Mieter*innen. Nicht bei Twitter, sondern an der Haustür.

2.     Gemeinsames Klassenbewusstsein schaffen. Unsere Kämpfe müssen von Beginn an so geführt werden, dass sie über den eigenen Tellerrand hinausreichen. Wir kämpfen nicht (nur) für die Interessen einer Mietpartei, sondern für die Interessen aller Mieter*innen. Es ist fast egal, mit wem man in Berlin spricht: nicht nur die Arbeiter*innenklasse, sondern auch weite Teile von Kleinbürger- und Beamtentum sind von der beschissenen Wohnsituation betroffen. Diese gemeinsame Erfahrung muss der Ausgangspunkt unserer politischen Arbeit sein. Dieses Bewusstsein für gemeinsame Betroffenheit zu wecken ist Teil unserer Aufgabe. Als Stadtteilorganisation verstecken wir unsere politischen Ansichten nicht, sondern machen deutlich: Wir kämpfen mit Hausgemeinschaften für eine sozialistische, gemeinwohlorientierte Wirtschaft und somit die flächendeckende Versorgung mit günstigem Wohnraum unter demokratischer Mitbestimmung. Wir führen Kämpfe, in denen Menschen merken, dass sie ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen können und nicht länger Spielball von Konzern- und Marktinteressen sind. 

3.     Erfolge selbst erkämpfen und absichern. Allzu häufig werden Konflikte in der Mietenfrage von Politiker*innen, Rechtsanwält*innen und vor Gericht ausgetragen. Es muss aber klar sein: die Mietenkrise kann nicht juristisch, auf Gutdünken der Klassenjustiz, sondern nur von uns selbst gelöst werden! Deshalb suchen wir aktiv nach Wegen, Hausgemeinschaften im direkten Konflikt mit ihrem Vermieter*innen zu unterstützen – der Gang zum*r Anwält*in oder vor Gericht ist für uns immer erst der letzte Schritt in einem Konflikt. Für uns bedeutet das auch, dass wir Strukturen schaffen müssen, die diese Kämpfe führen können. Das kann eine organisierte Hausgemeinschaft oder ein ganzer organisierter Kiez sein. Erst mit organisierten Strukturen können wir tatsächlich Gegenmacht aufbauen, Kämpfe gewinnen und diese Erfolge langfristig absichern.

4.     Menschen langfristig organisieren. Es ist klar, dass nicht alle Menschen das gleiche Interesse oder die gleichen Ressourcen haben, um sich langfristig politisch zu engagieren. Darum schaffen wir verschiedene Ebenen und entsprechende Angebote der Beteiligung. Wir führen jeden Konflikt mit dem Ziel, dass sich mindestens die Schlüsselpersonen einer Hausgemeinschaft langfristig mit uns organisieren. Wir glauben, dass so Stück für Stück durchsetzungsfähige Strukturen und wachsende Netzwerke aufgebaut werden können. 

5.     Kämpfe planvoll aufbauen. Damit die ersten vier Punkte gelingen können, planen wir Kämpfe langfristig. Wir versuchen Hausgemeinschaften zu organisieren, bevor es einen akuten Konflikt gibt. Akute Konflikte wirken häufig als Durchlauferhitzer: der nächste Schritt muss immer schnell beschlossen werden und am Ende ziehen sich alle erschöpft zurück. Wir wollen Hausgemeinschaften formen und dann gemeinsam entscheiden, wie genau wir gemeinsam aktiv werden. Wenn die Hausgemeinschaft die Kontrolle über den Konflikt behält, steigen die Chancen einer nachhaltigen Organisierung, selbst wenn der Kampf verloren werden sollte.

6.     Es fehlt nicht an Wut, sondern an Hoffnung. In unseren zahlreichen Haustürgesprächen im Wedding erleben wir häufig, wie hilflos sich Menschen angesichts der Wohnungskrise in Berlin fühlen. An Wut oder Kritik an den bestehenden Verhältnissen fehlt es dabei nicht – lediglich an Perspektiven, diese zu überwinden! Unsere Aufgabe muss es also sein, eine klassenkämpferische Perspektive aufzuzeigen und Stück für Stück gemeinsam zu erkämpfen. Das heißt für uns auch, unsere eigenen politischen Überzeugungen nicht zu verstecken, sondern diese mit Hoffnung und Zuversicht zu vermitteln.

7.     Es geht ums Gewinnen! Apropos Hoffnungslosigkeit: nichts beflügelt Menschen mehr, als gemeinsam ein Ziel erkämpft zu haben – und sei es noch so klein! Wir müssen also Kämpfe führen, die wir auch gewinnen können und wo konkrete Verbesserungen sichtbar werden. Für alle Beteiligten muss klar werden: gemeinsam kämpfen lohnt sich! Aus solchen Kämpfen können wir als Bewegung gestärkt hervorgehen und selbstbewusst in neue Auseinandersetzungen gehen.


Unser Ansatz: Nebenkostenberatung! Auf der Basis dieser Einsichten haben wir uns letztlich dafür entschieden, Hausgemeinschaften bei ihren Nebenkostenabrechnungen zu beraten und sie beim Kampf gegen ihren Vermieter*innen zu begleiten. Es können natürlich auch andere Themen gewählt werden, die ähnliche Kriterien erfüllen:

  • Nebenkosten sind ein guter Gesprächseinstieg an der Haustür. Besonders vor dem Hintergrund gestiegener Preise für Heizung und Warmwasser haben viele Menschen Interesse an diesem Thema.
  • Nebenkosten betreffen die gesamte Hausgemeinschaft. Findet sich ein Fehler in der Abrechnung einer Mieter*in, ist vermutlich die gesamte Hausgemeinschaft betroffen. Es ist also naheliegend, dass die Hausgemeinschaft gemeinsam aktiv wird!
  • In der Regel können überhöhte Nebenkostenforderungen auch ohne die direkte Einbindung von Anwält*innen zurückgefordert werden (solange der Gesamtbetrag unter einer Nettokaltmiete liegt). Der Kampf gegen den*die Vermieter*in kann also ohne langwierige juristische Verfahren und ohne     Politiker*innen geführt werden. Die Hausgemeinschaft kann eigenständig Druck aufbauen und eigene Forderungen durchsetzen.
  • Bei überhöhten Nebenkosten ist der Plan klar: wir holen uns gemeinsam unser Geld zurück! Aus diesem klaren Ziel ergibt sich eine konkrete Perspektive, was gemeinsam getan werden kann. Wird dieser konkrete Kampf gewonnen, können auch andere Konflikte gemeinsam angegangen werden.
  • Gewinnen ist möglich: bisher haben wir in JEDER Abrechnung, die wir untersucht haben, Fehler gefunden. Natürlich immer zu ungunsten der Mieter*innen. Das zu viel gezahlte Geld zurück zu fordern ist nicht nur möglich, sondern eine relativ sichere Angelegenheit. 

Wir wollen mit diesem Beitrag nicht behaupten, den Masterplan für die Mietenbewegung parat zu haben, sondern teilen hier nur unsere eigenen Einsichten, die auf den Erfahrungen der Bewegung beruhen. Die Bewegung ist entstanden aus konkreten Kämpfen und organisierten Hausgemeinschaften – aktuell hat die Bewegung große Ziele, aber wenig eigene Schlagkraft. Doch auf unsere gemeinsamen Erfahrungen können wir jetzt aufbauen. Die Berliner Mietenbewegung braucht konkrete Kämpfe in den Häusern der Menschen, um die Perspektive für ein Ende des kapitalistischen Wohnungsmarkts zu eröffnen. So kann es uns gelingen, viele Mieter*innen gemeinsam zu mobilisieren und zukünftig auch langfristig zu organisieren. 

Machen wir uns also an die Arbeit – es gibt noch viele Häuser zu enteignen!